Wenn Aktivierung an Männern vorbeigeht
Männer in der Betreuung tauchen oft erst auf den zweiten Blick auf. Sie sitzen mit am Tisch, nehmen teil, machen mit, und doch scheint vieles nicht wirklich für sie gemacht zu sein. In der Praxis der Seniorenbetreuung zeigt sich immer wieder, dass Angebote, Materialien und Themen stark von weiblichen Lebenswelten geprägt sind. Blumen, Jahreszeiten, Bastelarbeiten, Gedichte, Dekorationen. All das hat seinen Platz. Und doch trifft es nicht jeden. Männer fühlen sich davon häufig weniger angesprochen.
Dabei sind Männer in der Betreuung keineswegs eine kleine Randgruppe. In Pflegeeinrichtungen, Tagespflegen und in der häuslichen Begleitung steigt der Anteil älterer Männer. Viele von ihnen haben ein langes Arbeitsleben hinter sich. Ihre Erinnerungen sind geprägt von Tun, von Verantwortung, von Bewegung, von Technik, von draußen sein, von konkreten Aufgaben. Wenn diese Lebenswelt im Alltag kaum noch gespiegelt wird, ziehen sich manche Männer zurück. Nicht aus Unlust, sondern weil sie sich innerlich nicht angesprochen fühlen.
In Gesprächsrunden zeigt sich das oft sehr leise. Männer antworten kürzer, erzählen weniger, schweigen länger. Sie hören zu, beobachten, sind präsent. Manchmal wird das als Desinteresse gedeutet. Manchmal als „typisch Mann“. Häufig liegt die Ursache näher. Es fehlen Anknüpfungspunkte. Es fehlen Themen, die sich vertraut anfühlen. Es fehlen Bilder, Begriffe und Fragen, die etwas Eigenes berühren.
Betreuung lebt von Beziehung. Und Beziehung entsteht dort, wo Menschen sich gesehen fühlen. Viele Männer sprechen leichter über Dinge als über Gefühle. Über Autos, Werkzeuge, Arbeit, Reisen, Technik, Entscheidungen. Über das, was sie getan haben. Wenn Betreuung diese Ebene kaum aufgreift, entsteht eine Lücke. Eine leise, aber spürbare Lücke.
Hinzu kommt, dass Betreuung ein überwiegend weiblich geprägtes Berufsfeld ist. Viele Angebote entstehen aus weiblicher Perspektive, aus weiblicher Sozialisation, aus eigenen Interessen und Erfahrungen. Das ist verständlich. Gleichzeitig hilft ein Bewusstsein dafür, dass Männer andere Zugänge haben dürfen, ohne dass sie sich dafür rechtfertigen müssen. Männer müssen nicht „weicher“ werden, um in Betreuung zu passen. Betreuung darf auch handfester, sachlicher, technischer, klarer sein.
Gerade bei Männern mit Demenz zeigt sich, wie wichtig vertraute Themen sind. Fähigkeiten gehen verloren, aber lange gespeicherte Erfahrungen bleiben zugänglich. Wissen um Marken, Fahrzeuge, Arbeitsabläufe, Wege, Strecken, Geräusche, Entscheidungen. Wenn solche Inhalte aufgegriffen werden, verändert sich etwas. Die Haltung wird aufrechter, der Blick wacher, die Sprache flüssiger. Gespräche entstehen, ohne Druck und ohne Aufforderung.
Männerorientierte Aktivierung bedeutet nicht, andere Themen auszuschließen. Es geht nicht um ein Entweder-oder. Es geht um Erweiterung. Um Vielfalt. Um das Ernstnehmen unterschiedlicher Lebensgeschichten. Ein Mann, der sein Leben lang gefahren ist, reagiert anders auf ein Gespräch über Autos als auf einen Text über Blumen. Beides darf da sein. Beides braucht Raum.
In der Betreuung zeigt sich immer wieder, wie sehr Männer auf klare Strukturen reagieren. Spiele mit Regeln, Zuordnungen, Entscheidungen, Vergleiche. Dinge, die ein Ziel haben, auch wenn dieses Ziel spielerisch ist. Fragen, bei denen es nicht um das richtige Gefühl geht, sondern um Erfahrung, Einschätzung, Erinnerung. Solche Angebote wirken oft stabilisierend, gerade in Phasen von Unsicherheit.
Es ist auffällig, dass Männer in gemischten Gruppen häufiger dann sprechen, wenn Themen sachlicher werden. Wenn es um Arbeit geht, um Technik, um frühere Aufgaben. Dann übernehmen sie plötzlich wieder eine Rolle. Erzählen, erklären, vergleichen. Sie werden sichtbar. Und genau darum geht es. Sichtbar bleiben. Auch im Alter. Auch mit Einschränkungen.
Männer in der Betreuung brauchen keine Sonderrolle. Sie brauchen passende Zugänge. Materialien, die ihre Lebenswelt respektieren. Themen, die nicht erklären, sondern anknüpfen. Angebote, die nicht bewerten, sondern öffnen. Das entlastet nicht nur die Männer selbst, sondern auch Betreuungskräfte. Gespräche entstehen leichter, Widerstände nehmen ab, Gruppen werden lebendiger.
Aus dieser Haltung heraus entstehen Materialien, die sich bewusst an männlichen Interessen orientieren, ohne auszugrenzen. Aktivierung rund um Autos, Technik, Entscheidungen, Vergleiche, Erinnerungen. Nicht laut, nicht klischeehaft, sondern ruhig, klar und alltagstauglich. Als Ergänzung zum bestehenden Angebot. Als Einladung.
Wer in der Betreuung arbeitet, kennt diese Momente. Wenn ein Mann plötzlich erzählt, lacht, widerspricht, ergänzt. Wenn er wieder Teil des Geschehens wird. Nicht, weil er „aktiviert“ wird, sondern weil etwas angesprochen wird, das da ist.
Ein Material zum Thema Auto, mit Gesprächsimpulsen, Spielen, Quizfragen und Arbeitsblättern, gibt es hier als PDF zum Download: Etsy: Männeraktivierung – Thema Auto.
Für Einrichtungen oder Angehörige, die eine Rechnungszahlung benötigen, ist das Material auch über CopeCart erhältlich: CopeCart: Männeraktivierung – Thema Auto.
Vielleicht ist genau das ein kleiner Baustein, um Männer in der Betreuung wieder ein Stück mehr in die Mitte zu holen. Nicht als Konzept, sondern als Haltung.
